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Geschichte der Artillerie
Ein mächtiger “Skorpion” zum Abschuss von Kugeln, Brandgeschossen und Bolzen
Die Wirkung dieser ersten nur bis 200 m weit reichenden Mörser und Bombarden sowie der kleineren Rohre, die Metzen und Kartaune genannt wurden, war immerhin so groß, dass die Burgen und Festungsanlagen jener Zeit nachhaltig zerstört werden konnten und keine sichere Zuflucht gegen Belagerungen mehr darstellten. Die Einführung der schweren Feuerwaffen beendete also hinsichtlich der Kriegsführung das Mittelalter und leitete eine neue Epoche ein.
Die bereits voll bewegliche Artillerie Karls V. erfasste 1540 folgende Typen:
Die ersten Geschütze waren jedoch für Feldschlachten zu unbeweglich. Um dem abzuhelfen, versuchte man, die Geschütze leichter zu bauen und mit Rädern beweglich zu machen. Die auf diese Art gebauten Geschütze wurden Feldschlangen genannt. Die Bedienung dieser Geschütze war in jener Zeit noch nicht Aufgabe von Soldaten. Vielmehr bildeten die Büchsenmeister, Schlangenschützen und Feuerwerker eine eigene Handwerkszunft. Die handwerkliche und bürgerliche Tradition dieser Artilleristen hielten sich lange und machte sich noch in der späteren friderizianischen Armee darin bemerkbar, dass im Gegensatz zu allen anderen Waffengattungen in der Artillerie auch Bürgerliche Offizier werden konnten. Das starre Festhalten an bewährten Handwerksregeln und der ausgeprägte Kastengeist der Büchsenmacher verhinderte jedoch auch lange Zeit eine sich der modernen Kriegstechnik anpassende Weiterentwicklung der Artillerie. Erst mit den kriegstechnischen Reformen Gustav Adolfs erlebte die Artillerie einen neuen - jetzt aber gewaltigen Fortschritt. Das Gewicht der Geschütze wurde drastisch verringert, wodurch deren Beweglichkeit sich bedeutend erhöhte. Die Reichweiten wurden vergrößert und die Treffgenauigkeit durch Verwendung genauerer Richtmittel erheblich verbessert. Jetzt konnte die Artillerie - meist an den Flügeln der Schlachtordnung aufgestellt - erstmals den Bewegungen der Schlacht folgen und bewies sehr schnell ihre Überlegenheit gegen Fußtruppen und Reiterei. Der Große Kurfürst organisierte als erste die “Brandenburgische Artillerie” in rein militä- rischer Form. Das Zunftmäßige trat in den Hintergrund.
Stattdessen wurden als artilleristische Fachleute Offiziere ausgebildet. Im Jahre 1676 wurde die Artillerie in Preußen eine selbständige Waffengattung mit zunächst 10 Offizieren und 200 Mann. Unter Friedrich dem Großen entwickelte sich die Artillerie bedeutend weiter. Die Waffen wurden nach dem Geschossgewicht in Drei-, Sechs-, Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder eingeteilt und vereinheitlicht. Pulverladung und Geschoss verband man zu einer Patrone, was eine Feuergeschwindigkeit von 7 bis 8 Schuss pro Minute ermöglichte. Und die Einführung des Quadranten zum Richten verbesserte die Treffgenauigkeit. Zu Anfang des siebenjährigen Krieges bestand die preußische Artillerie aus zwei Regimentern zu je 1500 Mann. Damit die Artillerie auch den Märschen der Armee ohne Verzögerung folgen konnte, ließ Friedrich der Große im Jahre 1759 zwei berittene Brigaden mit je 10 Sechspfündern aufstellen. Diese Neuerung bewährte sich so gut, dass 1779 schon sieben Brigaden zu je 8 Sechspfündern und zwei siebenpfündigen Haubitzen bestanden. Gegenüber den fortschrittlichen Geschützen hinkte die Munitionsentwicklung noch hinterher. Erst mit dem Schrapnell, einer von dem englischen Artillerieoffizier Henry Schrapnell konstruierten Granate, die mit Kugeln gefüllt und einer kleinen Pulverladung und einem Zünder versehen war, entstand eine dem technischen Stand der Geschütze entsprechende Munition. Eine neue Epoche in der Entwicklung der Artillerie begann mit dem Bau des ersten Hinterladegeschützes mit gezogenem Rohr durch die Firma Krupp im Jahre 1858. Die Rundgeschosse wurden aufgrund ihrer geringen Treffgenauigkeit zugunsten von Langgeschossen aufgegeben. Der neuen Technik folgend, wurde im Jahre 1864 die preußische Artillerie neu organisiert, Es erfolgte eine Einteilung nach Feld- und Festungsartillerie. Außerdem wurden die Geschütze nicht mehr nach dem Geschoss gerichtet in Pfund, sondern nach dem Kaliber in Zentimeter eingeteilt. Die Vierpfünder wurden 8 cm-, die Sechspfünder 9 cm-Geschütze. Man beschränkte sich auf diese beiden Größen. Auch die Ausbildung der Artillerieoffiziere und Unteroffiziere wurde bei der Gründung der Artillerieschule in Berlin im Jahre 1867 neu gestaltet. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 zeigte sich, dass die deutschen Geschütze den französischen an Reichweite (ca. 5 km), Feuergeschwindigkeit und Treffsicherheit überlegen waren.
Ein genaues Richten über große Entfernungen war mit den damaligen Geschützen nicht möglich, da der Rückstoß bei jedem Schuss das Geschütz aus seiner Stellung auswandern ließ. Das erste Geschütz, bei dem der Rückstoß durch den Rohrücklauf aufgefangen wurde, wurde im Jahre 1897 in Frankreich vorgestellt. Da man jetzt ein Auswandern der Geschütze beim Schießen nicht mehr zu befürchten hatte, konnten jetzt auch die Richtmittel mit Rundblickfernrohr und Libellenaufsatz vervollkommnet werden. In Deutschland waren die ersten auf diese Art konstruierten Geschütze die 1906 eingeführte Feldkanone 96 n/A und die leichte Feldhaubitze 98/09 aus dem Jahre 1909. Diese Geschütze entsprachen in ihren Konstruktionsmerkmalen schon völlig den heutigen Geschützen. Dementsprechend waren auch damals schon die Grundsätze für Führung und Einsatz die gleichen, wie bei der heutigen Rohrartillerie. Das Schießen erfolgte aus verdeckten Feuerstellungen. Artilleriebeobachter leiteten das Feuer, wobei als Fernmeldeverbindung ein neu entwickeltes Feldkabel benutzt wurde. Auch artilleristische Aufklärungsmittel wie das Licht- und Schallmessverfahren wurden in jener Zeit entwickelt. Um die Witterungseinflüsse beim Schießen berücksichtigen zu können, richtete man Wetterdienste ein. Durch den 1. Weltkrieg nahm die Waffentechnik eine sprunghafte Entwicklung. Das Streben ging nach höherer Wirkung durch Steigerung der Schießweiten und Vergrößerung der Kaliber. Dabei entstanden Waffen, deren Leistung auch von modernen Geschützen nicht überboten wird: der 21 cm Mörser mit einer Schussweite von über 10 km und die 15 cm Kanone, die 22 km weit schoss. Eisenbahn und Kraftfahrzeuge ermöglichten auch die Entwicklung von Schwerstgeschützen. Unter den zahlreichen derartigen Entwicklungen sind das "Parisgeschütz", eine 21 cm Kanone mit 128 km Reichweite, und der 42 cm Mörser, die "Dicke Berta", besonders bekannt geworden. In der Munitionsentwicklung wurde damals auch schon der heute noch gültige Stand der Technik erreicht. Neben den schrapnellartig aufgebauten Geschossen kamen Brand-, Nebel-, Rauch-, Leucht- und Gasgeschosse zum Einsatz. (Stand: 1972). Nachdem die Artillerie bereits im 1. Weltkrieg hinsichtlich der Geschützrohre, Richtmittel, und Munition einen kaum überbietbaren technischen Stand erreicht hatte, ging man in der Folgezeit daran, Zugmittel und Selbstfahrlafetten zu verbessern sowie moderne Beobachtungs-, Aufkärungs- und Nachrichtenmittel zu entwickeln. Die deutschen Sturmgeschütze des 2. Weltkrieges demonstrierten die damalige Waffentechnik, sie entsprachen in ihrem Aufbau bereits der modernen Panzerartillerie. Daneben schlug sich die Phantasie der Konstrukteure in skurrilen Schwerstgeschütze nieder wie z. B. den Geschützen "Thor" mit 64 cm und "Schwerer Gustav" mit sogar 80 cm Kaliber.
Die moderne Rohrartillerie zeigt hinsichtlich der Waffen und Richtanlage noch den technischen Stand, der bereits im 1. Weltkrieg erreicht wurde, während die Lafetten moderne Kraftfahrzeugtechnik demonstrieren.(Stand:1972). Erwähnt seien hier die Panzerhaubitze M 109 (155 mm Kaliber, 18 km Reichweite), die Feldkanone M 107 (175 mm Kaliber, 32 km Reichweite) und die Feldhaubitze M 110 (203 mm Kaliber, 17 km Reichweite), die auch atomare Geschosse verschießen kann. Moderne Raketentechnik, die erst nach dem 2. Weltkrieg entwickelt wurde, zeigen die Raketenwerfer "Honest John", "Sergeant" und "Pershing". Eine neue Epoche in der Artillerie leitete der Raketenwerfer 110 mm mit 36 Rohren ein, der eine mit Rohrwaffen nicht erreichbare Wirkung erzielen kann und nur noch wenig Verwandtschaft mit seinen Ahnen der "Stalinorgel" und “Do-Werfer” zeigt. Gerade diese Waffe beweist, dass die Artillerie ihre seit dem 1. Weltkrieg behauptete Rolle als wesentlicher Träger des Feuerkampfes auch in Zukunft behalten wird. |
Entnommen der Festschrift |
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